EGONET.de
Ausgabe 6/1999
Sprachen lernen
Die effektivste Methode für Leute mit wenig Zeit

 
Wer träumt nicht davon, in fremden Ländern Touristenpfade zu verlassen und in das tatsächliche Leben einer anderen Kultur einzutauchen. Jetzt müßte man sich in der einheimische Sprache verständigen können. Die Globalisierung erfordert zudem Sprachkenntnisse im Beruf. Wenig Zeit zum Lernen, keine Sprachbegabung? Keine Panik! Auch Sie können in weniger als einem halben Jahr lernen, sich flüssig auf Ausländisch zu verständigen. EGONet erklärt Ihnen, wie es geht.
 
 
 
Wenn Ihnen durch Zufall in einem Antiquariat ein Sprachkurs von vor hundert Jahren in die Hände gerät – schauen Sie einmal nach, wie er aufgebaut ist. Unsere Vorfahren paukten Vokabeln plus Grammatikregeln und versuchten dann, daraus fremdländische Sätze zusammenzubasteln. Eine fremde Sprache sprechen ähnelte mehr einer Rechenaufgabe als echter Kommunikation. Die Sprachpraxis wurde trainiert wie Kopfrechnen. In sogenannten Drill-Übungen wurde immer wieder dieselbe grammatische Schwierigkeit mechanisch geübt, bis sie „saß“. Das Sprechen war mühsam und langsam. Es erforderte sehr viel Übung, um auf diese Weise zu einem halbwegs natürlichen Sprechen zu gelangen.

Bis auf wenige Ausnahmen hat man von dieser Methode Abschied genommen. Heute wird die Konversationsmethode vorgezogen. Der Schüler soll möglichst viel die echte Sprache hören und in natürlichen Sprechsituationen versuchen, sich zu verständigen. Am besten funktioniert diese Methode in dem Land, in dem diese Sprache auch gesprochen wird. Deswegen sind Sprachferien so beliebt. Neben der Gelegenheit, das Gelernte nach Ende der Lektion sofort praktisch zu erproben, wirkt die Umgebung motivierend. Man spürt unmittelbar, wozu man lernt.

Diese Methode beruht auf der Erkenntnis, daß jeder sich eine fremde Sprache aneignet, wenn er nur lange genug im Ausland lebt. Frühere DDR-Studenten, die in Moskau studierten, benötigten zwei Jahre, dann beherrschten sie das schwierige Russisch fließend – und zwar alle, unabhängig von der Sprachbegabung.

Damit ist zugleich der Nachteil der Methode genannt. Sie brauchen viel Zeit und ständig Leute um sich, die die Fremdsprache sprechen. Die Leute kann man teilweise ersetzen: durch Hörkassetten, Videos, CDs und ähnliches. Computergestützte Multimediakurse erkennen Aussprachefehler, präsentieren einem Land und Leute in Video-Sequenzen und liefern allzeit verfügbare Dialogpartner. Aber der enorme Zeitaufwand bleibt. Außerdem bleibt das so Gelernte nicht lange haften. Ohne dauerndes Hören und Sprechen geht das einmal erlangte Sprachgefühl bald wieder verloren.

Was macht aber jemand, der für seinen Beruf Sprachkenntnisse benötigt, dem aber genau dieser Beruf keine Zeit für aufwendige Lernprogramme läßt? Der seine Sprachkenntnisse nicht ständig, sondern nur rund zwei- bis dreimal im Jahr benötigt – dann aber intensiv und möglichst perfekt? Wer als hoffnungsvoller Nachwuchs gilt, wird unter Umständen von seinem Unternehmen auf dessen Kosten geschult und immer wieder zu Auffrischungskursen geschickt. Öfter aber muß man neben Fach-, Führungs- und Computerkenntnissen bereits Sprachkenntnisse vorweisen, um als hoffnungsvoller Nachwuchs eingestuft zu werden.

Ein Teufelskreis ohne Ausweg? Früher wie heute gab es immer wieder Wissenschaftler und Geschäftsleute, die trotz hoher Arbeitsbelastung Fremdsprachen lernten, ohne deshalb ihr hohes Arbeitspensum einzuschränken. Das bekannteste Beispiel war Heinrich Schliemann. Als Geschäftsmann erarbeitete er sich jahrzehntelang das Geld für seine späteren archäologischen Exkursionen, die er aus eigener Tasche finanzierte. Er grub Troja und das Grab des Agamemnon aus. Nebenbei lernte er zwanzig Sprachen.

Ein Ausnahmegenie? Vielleicht. Aber es gibt weitere Beispiele. Als Karl Marx für seine ökonomischen Studien russische Literatur lesen mußte, eignete er sich die notwendigen Kenntnisse innerhalb weniger Wochen an. Von vielen Forschern ist bekannt, daß sie mehrere Sprachen lasen und sprachen. Ende des letzten Jahrhunderts lernten Franzosen, Engländer und Amerikaner deutsch, um auf den Gebieten Physik und Chemie mitreden zu können. (Deutschland galt in jenen Jahren als naturwissenschaftlich führend.) Keiner von ihnen konnte sich Sprachferien oder mehrjährigen Unterrricht leisten.

Wie haben diese Leute Sprachen gelernt? Sie kauften sich ein Wörterbuch und eine Grammatik. Mit deren Hilfe nahmen sie sich originalsprachliche Texte vor und übersetzten sie sorgfältig. Dann lernten sie statt Vokabeln und Regeln die wichtigsten Textteile auswendig!

Ein Text, der alle benötigten Vokabeln und Grammatikregeln in ihrer Anwendung enthält, ist leichter zu merken als ellenlange Wortlisten. Denn Sie lernen die Wörter im Zusammenhang. Durch die Verbindung der Wörter merken Sie sich außerdem, wie die fremde Sprache die Wörter und Grammatik tatsächlich anwendet. Und: es geht Ihrem Gedächtnis keine einzige Vokabel und keine grammatische Regel verloren. Sie sind alle Bestandteile des Textes, der zwischen ihnen einen unlöslichen, sinnvollen Zusammenhang herstellt.

Ich habe diese Lernerfahrung als Jugendlicher eher unbeabsichtigt gemacht. Bis zur zehnten Klasse erhielt ich in den Sprachfächern meine schwächsten Zensuren. Doch dann spielte ich Gitarre und lernte nach und nach eine Reihe von Liedtexten auswendig. Manche Texte (von Bob Dylan oder Simon & Garfunkel) bieten weitaus mehr als „I love you“ oder „Don’t leave me now“. Nach etwa dreißig Texten merkte ich, daß ich flüssig Englisch sprach und verstand.

Sie fragen sich vielleicht: „Oh Gott, muß ich da nicht Hunderte von Texten auswendig lernen?“
Keineswegs. Ich habe mit dieser Methode im Selbststudium später die französische Sprache gelernt – ohne Vorkenntnisse. Dafür benötigte ich 21 Texte. Der erste war zehn Zeilen, der letzte drei Seiten lang. Diese Texte enthielten die gesamte Grammatik in der Anwendung und etwa 3000 Vokabeln. Das ist mehr, als ein Abitur bietet. Wenn Sie täglich ein bis eineinhalb Stunden Zeit einplanen, können Sie dieses Pensum in weniger als einem halben Jahr schaffen.

Aber auch wenn Sie nicht soviel Zeit haben, funktioniert dieses Vorgehen. Sie brauchen in diesem Fall die Texte nur in kürzere Einheiten zu teilen.

Das Lernen der Texte fällt nicht so schwer, wie Sie vielleicht vermuten – vorausgesetzt, sie haben sie korrekt übersetzt. Das eigentlich Mühsame sind die Wiederholungen. In weniger als einer Woche ist der gelernte Text aus Ihrem Gedächtnis wieder verschwunden, wenn Sie es beim einmaligen Lernen belassen. Die Lernpsychologie hat für das effektive Wiederholen eine Regel entdeckt: die zeitlichen Abstände zwischen den Wiederholungen sollten sich mit jedem Mal verdoppeln.

Praktisch heißt das: Sie lernen zunächst den Text. Er muß nicht perfekt sitzen, sondern nur so einigermaßen. (Dafür benötigen Sie je nach Textlänge fünfzehn Minuten bis eine Stunde. Mehr sollten Sie sich nicht auf einmal vornehmen.) Die Festigung überlassen Sie dem Wiederholen. Sie repetieren den neu gelernten Text im Kopf noch mal eine halbe Stunde später. Wenn Sie stecken bleiben, schauen Sie ins Buch, prägen sich die Stelle erneut ein und machen dann im Kopf weiter.

Auf die gleiche Weise wiederholen Sie am nächsten Tag. Zunächst im Kopf, bei „Hängern“ schauen Sie ins Buch. Dann schauen Sie sich den gesamten Text im Buch an, ob alles korrekt war, und wiederholen ihn (ohne ins Buch zu schauen) noch einmal.

Die nächste Wiederholung erfolgt nach zwei Tagen, dann nach vier Tagen, nach acht Tagen, sechzehn Tagen und so weiter. Sie erreichen schnell einen Stand, wo Sie nur noch nach Monaten wiederholen brauchen. Mit jeder Wiederholung verfestigt sich außerdem das Gelernte. Der Text, der Ihnen beim Erlernen noch schwierig vorkam, voll von Zungenbrechern und merkwürdigen Konstruktionen, erscheint Ihnen nach der achten Wiederholung als etwas Vertrautes.

Von diesem Zeitpunkt an „sitzen“ die Vokabeln und die Grammatik. Wenn Sie später ins Mutterland Ihrer Fremdsprache fahren und Vokabeln benötigen, blättern Sie gedanklich in Ihrem Text nach, wo das entsprechende Wort vorkam. Sie werden schnell feststellen, daß Sie meist gar nicht groß nachdenken müssen. Da Sie einen Haufen Mustersätze im Kopf haben, bilden Sie den benötigten Satz nach Gefühl. Ihre Intuition warnt Sie sofort, wenn Ihr gerade gebildeter Fremdsprachensatz zu dem gelernten Muster in Widerspruch steht.

Sobald Sie den ersten Text Ihres Lernpensums zwei bis drei Mal wiederholt haben – also nach einer halben Woche – können Sie sich den zweiten Text vornehmen. Übersetzen, Wörter und neue Grammatikregeln anschauen, bis Sie sie verstanden haben. Dann den Text auswendig lernen.

Da das Wiederholungslernen im Kopf stattfindet, können Sie dafür Warte- und sonstige Leerzeiten nutzen. In der U-Bahn, im Stau, in Wartezimmern, sogar während langweiliger Sitzung, bei denen Sie nur körperlich anwesend sein müssen. Nur wenn Sie sich eine neue Lektion erschließen, benötigen Sie Ruhe und Abgeschiedenheit. Dadurch läßt sich das Lernen ohne weiteres in eine termingefüllte Arbeitswoche integrieren.

Die zuletzt gelernten Texte müssen Sie häufiger wiederholen als die früheren. Bei den früheren sind Sie schon bei größeren zeitlichen Abständen angelangt. Wenn Sie pro Woche Ihrem Gedächtnis zwei neue Texte hinzufügen, können Sie nach zehn Wochen zwanzig Texte auswendig. Sobald Sie den letzten Text mindestens acht Mal wiederholt haben (nach weiteren zwei Monaten) sind Ihre Sprachkenntnisse anwendungsbereit.

Nun enthüllt sich ein weiterer Vorteil dieser Methode. Wenn Sie von Zeit zu Zeit Ihre Texte wiederholen, können Sie Ihre Sprachkenntnisse nicht wieder vergessen! Um meine 21 Französischtexte im Kopf aufzusagen, benötige ich eine bis eineinhalb Stunden. Danach ist alles wieder parat. Wenn ich also Besuch aus Frankreich erhalte oder selbst dorthin fahre, bin ich auf diese Weise in kürzester Zeit wieder fit.

Voraussetzung für diese Methode sind lediglich Regelmäßigkeit, Durchhaltewillen und ein durchschnittliches Gedächtnis. Eine besondere Sprachbegabung ist nicht nötig.

Wo finden Sie die geeigneten Texte? Am ehesten in Sprachlehrbüchern, die in Lektionen untergliedert sind, welche mit einem Text einsteigen und danach die Vokabeln, die Grammatik und ein paar Übungen anbieten. Für den Grundkurs kaufen Sie sich eine Kassette oder eine andere Tonkonserve dazu, wegen der korrekten Aussprache.

In meinem Französischkurs bestand der Grundkurs aus zehn, der Fortgeschrittenenkurs aus elf Lektionen. (Leider gibt es ihn nicht mehr zu kaufen, deshalb verzichte ich auf eine Literaturangabe.) Falls Sie keine vorgefertigten Texte finden (zum Beispiel, weil Sie sich mit einer besonders exotischen Sprache befassen), können Sie auch Originaltexte nehmen. In diesem Fall steigen Sie am besten mit einem Ausschnitt aus einem Kinderbuch ein, zum Beispiel einem bekannten Märchen, das Sie auf deutsch schon kennen. Oder einer Schulfibel aus jenem Land. Erschließen Sie sich den Text mit Grammatik und Wörterbuch. Erhöhen Sie nach und nach den Schwierigkeitsgrad der Texte. Leichte Texte für Erwachsene finden sich in Sachbüchern, die Alltagsthemen behandeln, und in einfach geschriebenen Romanen (Krimis, Groschenromane). Anspruchsvollere Texte zu unterschiedlichen Themen liefern Tageszeitungen. Es empfiehlt sich Texte auszuwählen, die für Sie wichtige Informationen enthalten. Das motiviert zusätzlich, sich die Sätze zu merken.

Wieviel müssen Sie lernen, um eine Sprache tatsächlich zu beherrschen? Wenn jemand sagt „Ich kann drei Sprachen“ – wieviel muß er/sie wirklich können, damit die Aussage stimmt?

Um sich notdürftig zu verständigen, reicht der Grundkurs. Damit können Sie nach dem Weg fragen, im Laden nach einem Preis fragen, bezahlen und ähnliches. Freilich sollten Sie ein Wörterbuch griffbereit dabei haben.

Nach einem Fortgeschrittenenkurs – vorausgesetzt, sie haben ihn nach unserer Methode durchgearbeitet – können Sie einfache Unterhaltungen zu Alltagsthemen führen, ohne Hände und Füße zu Hilfe nehmen zu müssen. Sie können Originalliteratur lesen (außer schwieriger Belletristik und spezieller Fachliteratur), ohne mehr als fünf Mal pro Seite im Wörterbuch nachzuschauen.

Sprachbeherrschung liegt freilich erst vor, wenn Sie sich in der Sprache „bewegen“ können. Das bedeutet nicht, daß Sie perfekt wie ein Muttersprachler sind. Sie dürfen einen Akzent haben und müssen nicht jedes Wort kennen. Aber Sie können Ihr Gegenüber verstehen und identifizieren ein unbekanntes Wort klar in einem Umfeld von lauter bekannten Wörtern. Sie sind fähig, gezielt nachzufragen, was der unbekannte Ausdruck bedeutet. Wenn Sie selbst etwas erzählen wollen, und das passende Wort fällt Ihnen nicht ein, können Sie es umschreiben. Beispiel: „Wie nennt man das? Die Straße ist voll Autos, der Verkehr bewegt sich nicht weiter.“ Die Antwort verrät Ihnen, was „Stau“ in der Fremdsprache heißt.

Die Voraussetzungen hatte ich mit meinen 21 Französischtexten erreicht, freilich auf dem untersten Level. Mit etwas Zusatzvokabular und dem gelegentlichen Lesen und Hören von französischen Texten konnte ich nach einigen Monaten das Niveau der Sprachbeherrschung erreichen.

Wenn Sie nun noch Gelegenheit finden, im lebendigen Gespräch Ihre Kenntnisse anzuwenden, hängt es nur noch von Ihnen ab, wann Sie in die letzten Geheimnisse der fremden Kultur eintauchen. 
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